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Beethoven "Missa Solemnis" Schwaebisch-Gmuend 30.12.2019

Rems-Zeitung Peter Skobowsky

Schon beim „Konzert zwischen den Jahren“ 2018 wurde die Erwartung formuliert, wie gespannt man sein dürfe, nach der C-Dur-Messe Ludwig van Beethovens nun dessen große Schwester, die „Missa solemnis“, zu erleben, wiederum mit dem Freiburger Arsatius Consort auf historischen Instrumenten. Die hiesige Ersterfahrung mit diesem hochsensiblen Klangkörper war noch ganz gegenwärtig.

Ganze fünf Wochen nach dem Benefizkonzert mit dem collegium vocale in Augustinus nun also die kaum überbietbare Herkulesaufgabe für den ambitionierten Gmünder Kammerchor, der vor vielen Jahren schon einmal das Werk in der Augustinuskirche geboten hatte. Walter Johannes Beck hatte ganze Arbeit geleistet. Bereits seine exzellente Programmeinführung verriet die akribische Auseinandersetzung mit der Partitur, die erst vier Jahre vor dem Tod des Meisters vollendet war: op. 123. Was ist nicht alles behauptet worden, durch Zeugnisse des Komponisten widerlegt. Er selbst hielt die Messe für sein bedeutendstes Werk, hatte er doch gründlichst recherchiert: die textlichen, theologischen Zusammenhänge, sich mit Details der Liturgie auseinandergesetzt. Das alles ist geronnen zu einer musikalischen Deutung, die ihresgleichen sucht. Beethovens Widmung, „von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen“, und seine bekundete Gottergebenheit sind der Schlüssel zu tiefster Berührung. Beck hat im Detail so viele Erkenntnisse vermittelt und begründet, warum seine Interpretation im „Benedictus“ bewusst den Chor einsetzt – das war einfach nur konsequent und überzeugend.

Das collegium vocale war bestens vorbereitet und in allen Stimmgattungen präsent. Wie schön, dass der Tenor (oft stiefmütterlich erscheinend) strahlend, aber nicht demonstrativ seinen Part ausfüllte, sodass der Gesamtklang an Ebenbürtigkeit keine Wünsche offenließ! Die äußerst flexible Dynamik, vom Orchester wirkungsvoll unterstrichen, vertiefte das durchgängige Berührtsein. „Himmlische“ Längen oder Schlüsse, charakterliche Besonderheiten (etwa der beschwörenden Pauken und Trompeten im „Agnus Dei“) gingen unter die Haut und hielten die Spannung stets durch. Wann hat man je ein so intensiv ausgelotetes „Benedictus“ gehört – eben nicht in vielen Teilen (wie im Barock) oder (liturgisch gebunden) in relativ geraffter Komposition? Die namentlich leider nicht benannte Geigensolistin bot beim „Benedictus“ zarteste Linien zur vokalen Einlösung des Textes. Hier wurde einmal mehr deutlich, warum das historische Instrumentarium dem modernen überlegen war.

Beethovens zunehmende Taubheit hatte zur Folge, dass (wie in der IX. Symphonie) die extreme Höhenanforderung an Chorsopran und -tenor enorm war. Umso mehr ist das collegium vocale zu loben, dessen Präsenz und Intonationssicherheit nur mit Superlativen zu würdigen ist (zu Recht bemerkte ein chorisch sehr erfahrener Hörer nach dem Konzert, dass er das nicht singen möchte).

Schade nur, dass nicht alle Plätze im Münster besetzt waren. Gegenüber den vorausgegangenen Konzerten schien das opus summum Beethovens im Voraus nicht so gewichtig zu sein. Nur die ergriffene Hörergemeinde konnte entsprechende Erfahrungen machen. Auch die Präsenz aller verantwortlichen katholischen und evangelischen Geistlichen belegte den hohen Gewinn dieser Beispiel gebenden Aufführung.

Was sich sonst eher als wenig geeignet erwies, hatte hier nicht nur seine Berechtigung, sondern steigerte das Mit- und Ineinander des Musizierens: Die Solisten sangen hinter dem Orchester, quasi aus dem Chor heraus. Das war angesichts der sagenhaften Qualitäten des Solistenquartetts nie ein Problem. Walter Johannes Beck hatte eine glückliche Hand in dessen Wahl, auch beim einspringenden Basssolisten für den indisponierten Albrecht Pöhl. Tanja Christine Kuhn bezauberte mit ihrem differenzierten Sopran. Bis in höchste Höhen vermochte sie dezent lyrisch zu intonieren, um sich dann expansiv zu steigern als strahlende Klangkrone – die beste Sopranistin, die der Rezensent je bei einer Aufführung des Werkes gehörte hatte.

Die weißrussische Mezzosopranistin Anna Lapkowskaja ist geradezu der Prototypus eines herausragenden Alts. In allen Lagen sonor präsent, zugleich von ebener Klangkultur ohne forcierenden Druck. Der Südkoreaner Sung Min Song ist als lyrischer Tenor geradezu prädestiniert für seinen Part, organisch sich steigernd ins Heldische, zudem wie seine solistischen Mitstreiter ensemblefähig. Wie schön, wenn die Höhe geschmeidig bleibt! Der eingesprungene Thomas Stimmel darf als Glücksfall der Aufführung gewertet werden. Als Charakterbariton überzeugte er in allen Lagen vollkommen (die Geste, seine Blumen der Geigensolistin zu überreichen, sprach für sich selbst).

Überhaupt war die stimmtechnische und ästhetische Qualität aller Solisten einmalig. Nur so konnte das Gesamtkunstwerk Beethovens eine so hohe Ausstrahlung gewinnen. Man durfte auch für das letzte Konzert der Gmünder Festivalchöre in diesem Jahr nur dankbar sein.

Nach gefühlt angemessen langer Zeit des Nachklingens dankten herzlicher Beifall und wunderschöne Blumen für diese bemerkenswerte Leistung aller Ausführenden unter der  souveränen Leitung von Walter Johannes Beck.