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Ein Abend mit Haydn und Beethoven Schwaebisch Gmuend 31.12.2018

Rems-Zeitung von Peter Skobowsky

Wie wertvoll Traditionen sind, dessen konnte man im „Konzert zwischen den Jahren“ innewerden. Der letzte große Auftritt des colle gium vocale in der Augustinuskirche fand größten Zuspruch – Besinnung auf das Wesentliche ist also für viele Menschen notwendig: ob es das Adventsbenefizkonzert von KMD Stephan Beck, dessen Aufführung des Bachschen Weihnachtsoratoriums im Heilig-Kreuz-Münster oder die Meditation des collegium vocale bei den Franziskanerinnen zum Jahreswechsel sind. Die Stauferstadt kann sich glücklich schätzen ob solchem Reichtum! Beim Konzert unter Leitung des Gründungsdirigenten Walter Johannes Beck stimmte einfach alles: der Chorraum des evangelischen Gottesdienstes mit seinem Respekt heischenden Christbaum, darüber der strahlende Herrnhuter Stern sowie die vielen Kerzen auf Chorgestühl und Kanzelbrüstung, dazu die gedämpfte Beleuchtung. Dass ausschließlich Werke katholischer Komponisten im Mittelpunkt standen, entsprach der guten ökumenischen Gesinnung aller Beteiligten. Die optimale Akustik bescherte einen präzisen Hörgenuss mit allen Nuancen der gelungenen Aufführung. Die umfängliche Werkeinführung im Programmheft belegte sowohl den Anspruch des collegium vocale „zwischen Neigung und Auftrag“ als auch die Notwendigkeit, durch hinreichende Information das reflektierende Hören zu befördern.

Die Auswahl der drei Werke von Haydn und Beethoven zeigte deren inneren Zusammenhang, die geistige, religiöse und kompositorische Verwandtschaft. Wie schön, dass das ungarische Fürstenhaus Esterházy im burgenländischen Eisenstadt ein Garant schöpferischen Erfindergeistes war, auch bei so unterschiedlichen Naturen wie Franz Joseph Haydn, Johann Nepomuk Hummel oder Ludwig van Beethoven. Haydns Motette „Insanæ et vanæ curæ“, seine 26. Sinfonie d-Moll und Beethovens Messe C-Dur op. 86 fesselten intensive 75 Minuten lang eine dankbare Hörergemeinde.

Haydns Motette entsprang einem weltlichen Oratorium des Meisters. Die gelungene Kontrafaktur, also das mit geistlichem Text unterlegte Original in Verbindung zu liturgisch bedeutsamen Passionstexten (Klagelieder Jeremias) zentrierte brennpunktartig die verinnerlichte Silvesterhaltung jedes verantwortungsbewussten Menschen. Bei straffem Tempo mit punktierten Rhythmen erlebte man einen zupackenden Chor, der hochsensibel den gestischen Vorgaben seines Maestro folgte und zusammen mit dem Orchester eindringlich forderte mit geradezu zwingendem Impetus. Hier wie in der Sinfonie Nr. 26 mit dem geschickt nachträglich zugeordneten Titel „Lamentazione“ (Wehklage) offenbart der Komponist wie später auch Beethoven eine schier sprudelnde Ideenvielfalt. Zugleich ist das Werk die letzte dreisätzige Sinfonie, die also mit einem Menuett (samt Trio) endet. Manche musikwissenschaftliche Analyse mutet eher wie Erbsenzählerei an. Dabei zeichnen sich die Sätze sehr wohl als im Zusammenhang stehend aus.

Walter Johannes Beck hatte diesmal mit dem Arsatius-Consort, das in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum begeht, ein ambitioniertes süddeutsches Ensemble mit historischen Instrumenten verpflichtet. Diese Künstlergemeinschaft bestach durch ihre klangliche und stilistische Kompetenz. Durchsichtigkeit, auch in den virtuosesten Passagen, Präsenz und dynamische Flexibilität bedeuteten eine geradezu glückliche Einheit mit dem Schwäbisch Gmünder Kammerchor. Alle seelischen Facetten kamen so zu einer eindringlichen Erfüllung.

[...] Jedenfalls war die Sinfonie ein Klangjuwel.

Beethovens C-Dur-Messe ist eigentlich bereits eine „solemnis“ – allein wegen der Dauer kaum liturgisch verwendbar. Dennoch kommt auch im „reinen“ Konzert der liturgische Geist nicht zu kurz. Es gibt wohl wenige Messen, die derart sinnenfällig den Text deuten und so in die Mitte der Liturgie „zwingen“ – in nur wenigen Strichen: Wo findet man im Glaubensbekenntnis sonst eine Vertonung, die das Leiden („passus“) im Forte deutet? Nach relativ kurzem „Sanctus“ folgt ein ausladendes „Benedictus“ mit ebenfalls kurzem „Hosanna“-Schluss. Schließlich im „Agnus Dei“: Der Friedensbitte „dona …“ folgt einige Male die eindringliche Wiederholung des „miserere …“, die Bitte um Erbarmen. Das alles sind Steilvorlagen für die ergreifende Interpretation.

Das ausgezeichnete Solistenquartett hatte neben selbstverständlicher Solo- eben jene sublime Ensemblequalität, die das Hören potenzierte: eine wunderbar lyrisch expansive Judith Wiesebrock (Sopran), eine Hanna Roos (Alt) mit gleichermaßen strömenden Glanz, ein heldischer Alexander Judenkow (Tenor), der sich das Protzen versagte und umso homogener die anderen Solisten ergänzte, und ein Manfred Bittner mit seinem sonoren Charakterbass als wahres Fundament des Quartetts. Das Berückende des Hörerlebnisses: vollkommene innere Einheit aus einem Guss, dynamisch äußerst sensibel, packend bis in extreme Lagen und strahlend im Glanz eines stets unforcierten Tutti.

Man darf gespannt sein auf Beethovens Missa solemnis im nächsten Jahr